neue verpackung 02-2008
Kindergesicherte Verpackungen in der Diskussion
In den letzten Monaten wurde in unterschiedlichen Medien mehrfach über die mangelhafte Funktionsweise von kindergesicherten Verpackungen für bestimmte gefährliche Produktgruppen berichtet. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei zwei Schülerinnen, welche bestimmte Verpackungen mit Inhalten wie Reinigern oder Brennspiritus Kindern zum Versuch gaben, diese zu öffnen. Dabei gelang es den Kindern in vielen Fällen an den Inhalt zu gelangen.
Für diese Untersuchung erhielten die beiden unter anderem den ersten Platz des Wettbewerbs „Jugend testet“ der Stiftung Warentest. Viele der auf diese Weise untersuchten Verpackungen wurden in der Folge durch die Schülerinnen sehr schlecht bewertet. Zu Recht? In der Tat weisen die so erhaltenen Ergebnisse auf ein Problem hin, welches bedauerlicherweise nach wie vor immer wieder zu beobachten ist: Bestimmte Verpackungen mit gefährlichen Inhalten verfügen lediglich über Pseudo-Kindersicherungen, für die weder eine Funktionsprüfung durchgeführt, noch eine Zertifizierung gemäß der bestehenden Normen für kindergesicherte Verpackungen vorliegt. Allerdings muss auch die Vorgehensweise, welche zur negativen Beurteilung von so vielen Verpackungen führte, unter wissenschaftlichen und rechtlichen Aspekten in Frage gestellt werden.
Gefährliche Produkte für Kleinkinder
Kindergesicherte Verpackungen werden eingesetzt, wenn eine gesundheitsgefährdende Wirkung für Kleinkinder besteht, falls diese mit dem Inhalt der Verpackung ungehindert in Kontakt gelangen. Davon betroffen ist eine oftmals unterschätzte Anzahl von Produkten. Dies sind, um nur einige Beispiele zu nennen, chemisch-technische Haushaltsprodukte wie etwa aggressive Reinigungsmittel, eine große Anzahl von Baumarktprodukten wie Säuren, Laugen und benzinhaltige Rezepturen etc. , aber auch Produkte aus dem Bereich Automobilzubehör und Gartenpflege. Weitere Gefahrenquellen bilden darüber hinaus Lampenöle oder Kosmetika mit hohen Konzentrationen an ätherischen Ölen.Insbesondere müssen noch Arzneimittel erwähnt werden. Hier kann die unbeabsichtigte Einnahme durch Kleinkindern zu traumatischen oder sogar lebensbedrohlichen Auswirkungen führen. Von den aufgeführten Produkten geht eine grundsätzliche Gefahr für Kinder jeder Altersklasse aus, insbesondere besteht diese allerdings für Kleinkinder im Alter unter vier Jahren. Diese verfügen noch nicht über das Wissen hinsichtlich der Gefährlichkeit der Inhalte bestimmter Verpackungen. Darüber hinaus neigen die Kleinen dazu, viele Dinge unkontrolliert in den Mund zu nehmen. Statistiken über Vergiftungsunfälle belegen diese Tatsache immer wieder und zeigen, dass sich diese überwiegend mit Kleinkindern bis zu einem Alter von vier Jahren ereignen. Dies ist besonders zu berücksichtigen, wenn man die Sicherheitskonzepte und die korrekte Funktionsweise von kindergesicherten Verpackungen richtig beurteilen will.
Sicherheitskonzepte für Kleinkinder
Viele wiederverschließbare kindergesicherte Verpackungen beruhen auf einem Trick, z.B. einem Öffnungsprinzip bei dem zwei Bewegungen gleichzeitig koordiniert ausgeführt werden müssen, wie Herunterdrücken und gleichzeitiges Aufdrehen. Für Kinder bis zum Alter von vier Jahren stellen solche Sicherungssysteme, sofern qualitativ hochwertig gefertigt, eine wirkungsvolle Barriere dar. Kleinkinder haben große Schwierigkeiten mit der gleichzeitigen Ausführung von zwei abgestimmten Bewegungen; darüber hinaus verfügen sie zudem in aller Regel noch nicht um das Wissen über die Funktionsweise eines solchen komplexen Öffnungsmechanismus. Bei allen Verpackungen welche durch ihre Funktion daraufhin ausgerichtet sind zu verhindern, dass Kleinkinder in der Lage sind, an den gefährlichen Inhalt zu gelangen, stellt sich stets die Frage nach der Wirksamkeit der Sicherung. Das bloße Vorhandensein eines beabsichtigten Öffnungsmechanismus, der z.B. auf dem Prinzip „Drücken und Drehen“ beruht, ist kein ausreichernder Beleg dafür, dass der Zugriff auf den Inhalt für Kleinkinder auch wirklich verhindert wird. So lässt es sich immer wieder beobachten, dass die Verschlusssysteme aufgrund ihrer technischen Komplexität und dem Zusammenwirken verschiedenster Faktoren zwar darauf ausgerichtet sind die Öffnung durch Kleinkinder zu unterbinden, dies jedoch in der Praxis oft nicht funktioniert.
Probleme und Fehler bei der Entwicklung und Konstruktion
Konstruktionsfehler liegen z.B. vor, wenn die integrierten Sperren im Verschluss nicht der Krafteinwirkung durch Kleinkinder standhalten. Zwar sind die Bewegungen von Kleinkindern noch häufig unkoordiniert, sie verfügen jedoch in der Regel über erhebliche Kräfte, die oftmals unterschätzt werden. Immer wieder kommt es vor, dass bei dem Versuch eine Verpackung kindersicher zu gestalten, deren Benutzung durch Erwachsene vollkommen vernachlässigt wird. Häufig es lässt sich für den normalen erwachsenen Benutzer nur schwierig erkennen, ob eine Verpackung richtig verschlossen ist oder nicht. Immer wieder findet man Verschlüsse, die auch hinunter gedrückt werden müssen, damit diese richtig verschließen. Diese Aspekte sind, wenn auch häufig vernachlässigt, entscheidend für das vollständige Funktionieren einer kindergesicherten Verpackung. In der kritischen Situation wird eine Verpackung, die nicht richtig verschlossen ist, nicht verhindern, dass Kleinkinder an den Inhalt gelangen. Daher verbinden qualitativ hochwertige kindergesicherte Verpackungen die Funktionen Öffnen und Verschließen als eine aufeinander abgestimmte Einheit, welche den ungewollten Zugang durch Kleinkinder zuverlässig verhindern, jedoch den problemlosen Zugang und den vollständigen korrekten Wiederverschluss durch Erwachsene immer gewährleisten.
Normen und Prüfverfahren für kindergesicherte Verpackungen
Zur Überprüfung und Gewährleistung der richtigen Funktionsweise von kindergesicherten Verpackungen existieren unterschiedliche internationale Normen. Diese Normen beschreiben unter anderem Prüfverfahren, die darauf ausgerichtet sind zu untersuchen, ob die Sicherungsfunktion in Bezug auf Kleinkinder sowie die problemlose Handhabbarkeit durch Senioren vorhanden sind. Die wichtigsten Standards sind dabei die ISO 8317 (2003) für wiederverschließbare kindergesicherte Verpackungen, die EN 862 (2005) für nicht wiederverschließbare Verpackungen, die EN 14375 (2003) für nicht wiederverschließbare Verpackungen für pharmazeutische Produkte, sowie die US-amerikanischen Bestimmungen nach US 16 CFR § 1700.20. Die gemeinsame Grundlage innerhalb der Prüfverfahren bildet jeweils ein zweimal fünfminütiger Test (vor und nach einmaliger Demonstration der unerklärten Öffnung der Verpackung durch das Prüfpersonal) mit bis zu 200 Kleinkindern im Alter von 42 bis 51 Monaten bei dem diese versuchen dürfen die Verpackung zu öffnen, sowie eine Öffnungsprüfung mit Senioren im Alter von 50 bis 70 Jahren. Während bei den Tests mit Kleinkinder maximal 15% der Testgruppe innerhalb der ersten fünf Minuten und maximal 20% der Kinder während der gesamten zehn Minuten in der Lage sein dürfen an den Inhalt der Verpackung zu gelangen um die Anforderungen der Norm zu erfüllen, müssen sich bei den Tests mit Senioren mindestens 90% als in der Lage erweisen die Verpackung innerhalb einer Minute zu öffnen, nachdem sie sich fünf Minuten mit der Verpackung vertraut machen durften. Nur solche Verpackungen, bei denen sowohl die Anforderungen im Kinder- als auch im Seniorentest erfüllt wurden, entsprechen der Norm und sind zertifizierfähig. Die Anforderungen der Normen für kindergesicherte Verpackungen spiegeln deren Zielrichtung wider: Es wird davon ausgegangen, das Verpackungen, die sich von Kindern im Alter von 42 bis 51 Monaten nicht öffnen lassen auch bei den Kleinkindern Wirkung zeigen, welche von Vergiftungsunfällen am häufigsten betroffen sind; dies ist insbesondere die Altersgruppe zwischen 30 und 42 Monaten. Gleichzeitig muss aber auch die einwandfreie Handhabbarkeit durch Erwachsene möglich sein, da nur eine Verpackung die durch Erwachsene problemlos geöffnet und verschlossen werden kann im Falle eines Falles auch kindergesichert verschlossen bleibt. Die Öffnungsprüfung mit Senioren folgt dem Grundgedanken, dass eine Verpackung, welche von 50 bis 70jährigen geöffnet und verschlossen werden kann, auch von jüngeren Erwachsenen unter 50 Jahren problemlos zu verwenden ist, während gleichzeitig der veränderte demographische Aufbau vieler Industrienationen Berücksichtigung findet. Die Zertifizierung von kindergesicherten Verpackungen erfolgt ausschließlich durch unabhängige Institute, die nach DIN EN 45011 explizit als Zertifizierungsstellen für kindergesicherte Verpackungen akkreditiert sind (z.B. ivm Institut VerpackungsMarktforschung GmbH, www.ivm-childsafe.de). Lediglich ein Zertifikat entsprechend der jeweiligen internationalen Norm für kindergesicherte Verpackungen ist ein Beleg für die beabsichtigte richtige Funktion der Verpackung und wird von Industrie, Behörden und Gesellschaft gleichermaßen anerkannt.
Zurück zur Stiftung Warentest: Falsche Beurteilung von Verpackungen?
Berücksichtigt man die Zielsetzung und die Prüfverfahren für kindergesicherte Verpackungen, so muss man die Ergebnisse, welche die zu Beginn erwähnten Schülerinnen in ihrer Untersuchung von vermeintlich kindersicheren Verpackungen erhielten hinterfragen. Wie innerhalb mehrere Fernsehberichte und durch die Stiftung Warentest (unter anderem wurde durch die Untersuchung der erste Platz des Wettbewerbs „Jugend testet“ gewonnen) zu erfahren war, wurden die Untersuchungen in zwei Kindergärten und in einer ersten Klasse mit Kindern im Alter zwischen drei und sieben Jahren durchgeführt. An dieser Stelle muss der deutliche Hinweis erfolgen, dass Kinder zwischen fünf und sieben Jahren deutlich zu alt sind, Verpackungen zu überprüfen, welche Sicherheit für Kinder im Alter unter 42 Monaten bieten sollen. Sofern Kinder von fünf, sechs oder sieben Jahren nicht schon selbst in der Lage sind kindergesicherte Verpackungen zu öffnen weil sie ggf. die Piktogramme mit der Öffnungsanleitung verstehen, so wird es die überwiegende Mehrzahl nach einer entsprechenden Anleitung und Einweisung sein. Selbst Kinder, die im Rahmen der Prüfung und Zertifizierung von kindergesicherten Verpackungen im Alter von 42 bis 51 Monaten an den Tests mit kindergesicherten Verpackungen teilnehmen, können die Öffnung solcher Verpackungen lernen. Bei den Prüfungen zur Zertifizierung von kindergesicherten Verpackungen ist deshalb unter anderem vorgeschrieben, dass die Kinder an solchen oder vergleichbaren Prüfungen nur maximal zweimal teilnehmen, um einerseits Lerneffekte und andererseits verzerrte Ergebnisse zu vermeiden. Über die Rahmenbedingungen der Untersuchungen der Schülerinnen lässt sich in weiteren Punkten nur spekulieren. Es ist aber davon auszugehen, dass sie in vielen anderen Aspekten mit den in den Normen für kindergesicherte Verpackungen beschriebenen Prüfverfahren nicht zu vergleichen sind. Insofern dienen die von den Schülerinnen vorgestellten Ergebnisse zwar dazu zu veranschaulichen, dass kindergesicherte Verpackungen nicht den Zugang für Kinder jeder Altersgruppe verhindern, sie eignen sich jedoch nicht dazu, die Funktion der überprüften Verpackungen zu beurteilen. Einen international anerkannten Beleg für die richtige Funktionsweise liefert lediglich ein Zertifikat eines nach DIN EN 45011 akkreditierten Prüfinstitutes für kindergesicherte Verpackungen.
Das Problem von Pseudo-Kindersicherungen besteht weiterhin
Die berechtigte Kritik an der Vorgehensweise der Schülerinnen darf über einen Punkt nicht hinwegtäuschen: Auch eine breit angelegte Untersuchung von vermeintlich kindersicheren Verpackungen, welche an den Prüfverfahren der Normen für kindergesicherte ausgerichtet ist, würde im Markt befindliche Verpackungen identifizieren, welche die geforderte Funktionsweise nicht erfüllen. Bedauerlicher Weise werden immer wieder Verpackungen eingesetzt deren kindergesicherte Funktion weder einer Prüfung, noch einer Zertifizierung unterzogen wurde. Über die Beweggründe der Beteiligten kann nur spekuliert werden; die Ursachen liegen zwischen fahrlässiger Unwissenheit bis hin zur vorsätzlichen Ignoranz der gesetzlichen Verpflichtungen zur Verwendung kindergesicherter Verpackungen.
Rechtliche Verpflichtungen zum Einsatz kindergesicherter Verpackungen
International bestehen unterschiedliche Rechtsquellen, welche den Einsatz kindergesicherter Verpackungen für Produkte von denen bei Missbrauch eine Gefahr für Kleinkinder ausgeht verbindlich regeln. Für Gefahrstoffe stammen diese in der Europäischen Union z.B. aus der Richtlinie über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung gefährlicher Stoffe und Zubereitungen 1999/45/EG („Zubereitungsrichtlinie“) sowie aus der Richtlinie 1967/548/EWG. Bei Gefahr für die Gesundheit von Kleinkindern schreiben diese die Verwendung von kindergesicherten Verpackungen, die nachweislich der Norm ISO 8317 (für wiederverschließbare kindergesicherte Verpackungen) bzw. der Norm EN 862 (für nicht wiederverschließbare kindergesicherte Verpackungen) entsprechen, vor.
Die Verantwortung liegt beim Inverkehrbringer
Gleichzeitig legt die Richtlinie 1999/45/EG dabei fest, dass der Inverkehrbringer dafür verantwortlich ist, dass die Anforderungen an die kindergesicherte Verpackung auch erfüllt werden. Hersteller und Händler von gefährlichen Produkten und Zubereitungen sind also aufgefordert, darauf zu achten, dass nur solche kindergesicherte Verpackungen eingesetzt werden, die den vorgeschriebenen Normen für kindergesicherte Verpackungen entsprechen. Gleichzeitig sind aber alle Hersteller von kindergesicherten Verpackungen gut beraten, wenn sie nur zertifizierte kindergesicherte Verpackungen vertreiben und ihre Kunden (in diesem Fall abfüllende Unternehmen) nicht in Ungewissheit über die richtige Funktionsweise der Verpackungen lassen. Entsprechend der Richtlinie 1967/548/EWG können nur Prüfinstitute, die nach der Norm 45011 akkreditiert sind Zertifikate vergeben, die die Übereinstimmung der Verpackung mit der geforderten Norm bestätigen. Neben den Richtlinien der Europäischen Union gibt es für bestimmte andere Produktgruppen unterschiedliche nationale weiterführende Gesetzgebungen, welche den Einsatz kindergesicherter Verpackungen wiederum unterschiedlich vorschreiben. So sehen sich international tätige Unternehmen oftmals mit einer Vielzahl unterschiedlicher rechtlicher Grundlagen konfrontiert, welche zu überblicken teilweise problematisch ist. Hingegen besteht bei den Normen für kindergesicherte Verpackungen Einheitlichkeit, so dass kindergesicherte Verpackungen welche zum Einsatz in unterschiedlichen Ländern produziert werden die gleichen Zertifikate hinsichtlich der Funktionsprüfung benötigen.
Fazit:
Für viele Produkte, die bei Missbrauch eine Gefahr für die Gesundheit von Kleinkindern bedeuten können, ist der Einsatz kindergesicherter Verpackungen mittlerweile verpflichtend vorgeschrieben. Verfügen Verpackungen über einen Mechanismus, welcher den Öffnungsvorgang erschwert, ist dies noch kein ausreichender Beleg dafür, dass die Verpackung Kleinkinder vor der gesundheitsgefährdenden Wirkung des Inhaltes schützt. Aufgrund der Komplexität der Konstruktion kann deren richtige Wirkungsweise erst durch eine Funktionsprüfung sichergestellt werden. Dementsprechend können kindergesicherte Verpackungen erst dann zu Recht als solche bezeichnet werden, sofern diese nach erfolgreicher Durchführung eines Prüfverfahrens über ein entsprechendes Zertifikat gemäß den bestehenden internationalen Normen für kindergesicherte Verpackungen (z.B. ISO 8317, EN 862 oder EN 14375) verfügen. In diesem Fall verfügt der Inverkehrbringer von gefährlichen Produkten über den notwendigen Schutz um ihn bei Unfällen vor möglichen ungerechtfertigten Forderungen zu schützen. Nur Institute, die nachweislich über eine Akkreditierung nach EN 45011 als Zertifizierungsstellen für kindergesicherte Verpackungen verfügen sind in der Lage, national und international anerkannte Zertifikate für kindergesicherte Verpackungen zu vergeben (z.B. ivm Institut VerpackungsMarktforschung GmbH,
www.ivm-childsafe.de).